A review by leas_bookworld_
Der Fremde by Albert Camus

3.0

Camus schrieb "Der Fremde" nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Welt gezwungen war, die Unmenschlichkeit des Holocaust zu akzeptieren. In dem Buch reagiert der Protagonist Meursault mit emotionaler Gleichgültigkeit auf die Welt. Er glaubt nicht an Gott und ist der Meinung, dass das Leben sinnlos und irrational ist. Er sieht keine natürliche Ordnung des Lebens. Er ist unfähig zu Liebe, Trauer, Empathie oder Reue. Meursault glaubt nur an die physische Welt - die Welt, in der wir leben und atmen, aber nicht an eine Welt, in der wir fühlen. Er glaubt nicht, dass ein gelebtes Leben anders ist als ein anderes. Eigentlich liebt er das Leben und das Leben am meisten, wenn er erkennt, dass es sinnlos und irrational ist, und es annimmt. Diese Denkweise, die oft als Existenzialismus bezeichnet wird, wird genauer gesagt "Absurdismus" genannt und ist charakteristisch für Camus. Im Absurdismus suchen die Menschen nach einem Sinn im Universum, sind aber gezwungen zu erkennen, dass es keinen gibt. In "Der Fremde" sucht die Gesellschaft bei Meursault nach moralischer Integrität und verurteilt ihn für das Fehlen einer solchen.

Diese Erzählung ist wunderschön und zugleich schrecklich düster. Die Sätze sind wunderbar beschreibend und poetisch aufgebaut. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Mersault - ein Typ, den ich einfach nur als Soziopath bezeichnen kann. Er ist trotzdem kein verrückter, verdrehter, böser Mörder, sondern ein Mörder, dessen größte Schwäche seine Unfähigkeit ist, die Menschlichkeit oder auch nur die Erwartungen anderer zu erkennen, ganz zu schweigen von sich selbst. Er wird von den anderen Figuren verachtet, weil er nicht höflich ist, oder weil er ein Langweiler ist. Schließlich tötet er jemanden ohne jeden aufregenden Grund, vielleicht die schrecklichste Art von Mord, die man sich vorstellen kann, und fordert den Leser auf, seine eigene Reaktion auf das Problem zu hinterfragen. Er ist nicht in der Lage, seiner Geliebten Liebe zu zeigen oder seine Mutter angemessen zu betrauern. Ich habe das Gefühl, dass diese Art des Erzählens in einer Zeit entstanden ist, in der es einfacher war, sich zu betäuben und all den Schmerz in der Welt nicht zu spüren. Ich denke auch, dass dies eine traurige Art ist, durchs Leben zu gehen, und wenn man sich entscheidet, das Leben auf diese Weise anzugehen, wird man höchstwahrscheinlich von der Gesellschaft abgekoppelt leben, da wir Menschen uns nach dem Komfort unserer Regeln und Ordnung sehnen.

Die Beziehung zwischen dem Erzähler, der Hauptfigur, und dem Leser ist sowohl von Intimität als auch von Distanz geprägt - eine tolle literarische Leistung, ohne die dies nur ein weiterer modernistischer Text über Entfremdung wäre. Aber in Camus' Händen wird das zu einer eindringlichen, unheimlichen Geschichte über jemanden, der in jedem möglichen Kontext ein Fremder ist, und darüber, wie wir uns gegenüber solchen Menschen fühlen, wie wir selbst solche Menschen sein könnten und es vielleicht nie erfahren. Als Mensch, der sehr viel fühlt, war es sehr interessant, die andere Seite kennenzulernen.

Das Thema Atheismus kommt am Ende des Buches ins Spiel und erhält plötzlich mehr Gewicht, als es nach allem, was vorher geschah, verdient hätte. Die Schlussszene ist fast schon übertrieben melodramatisch. Was mir dann aber wiederum gefallen hat, war, dass es den Anschein hat, als ob Mersault am Ende des Romans die Dinge wirklich wahrnimmt und sie tiefer untersucht - obwohl er leugnet, von dem, was vor ihm liegt, wirklich betroffen zu sein.

Abschließend kann ich sagen, dass dieses Buch sehr zum Nachdenken über den Unterschied zwischen subjektiver Erfahrung und objektiver Interpretation von Ereignissen anregt.